Digitale Nomaden: EU-Kommission sägt am Lebensentwurf
Viele digitale Nomaden sind als Soloselbstständige in Deutschland steuerlich gemeldet und haben sich erfolgreich mehrere digitale Standbeine aufgebaut.
Als Freelancer verkaufen sie Dienstleistungen und Know-how – weltweit, ortsunabhängig und frei.
Ein neuer Vorschlag der EU-Kommission gefährdet das Lebens- und Erwerbsmodell von digitalen Nomaden, die mit Freelancing ihre Brötchen verdienen. Alle Infos findest du in diesem Beitrag.
Richtlinienvorschlag zu Arbeitsplattformen: Generalverdacht der Scheinselbstständigkeit
Wenn du als Freelancer über Remote Work Plattformen regelmäßig Aufträge an Land ziehst, solltest du dir den neuen „Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“ im Detail anschauen.
Long story short: Der EU-Vorschlag soll vordergründig Soloselbstständige in prekären Jobs absichern
Die Grundidee ist ganz nett: Soloselbstständige, die für Lieferando oder andere Plattformen arbeiten, sollen vor Ausbeutung geschützt werden.
Was passiert hier aber durch die Blume?
Naja, Digitale Nomaden Freelancer werden mit Lieferando-Fahrradkurieren gleichgesetzt.
Die Folge:
Solopreneure, die ihre Neukunden über Internet-Plattformen akquirieren stehen unter dem Generalverdacht der Scheinselbstständigkeit.
Neue Regeln würden für alle „digitalen Arbeitsplattformen“ gelten
Die Planungen der EU-Kommission finden in der medialen Berichterstattung keinerlei Beachtung – denn Soloselbstständige und vor allem digitale Nomaden gehören in Deutschland nun mal zur Minderheit.
An sich ist das okay.
So ist das eben, wenn man sich für einen unkonventionellen Lebensstil entscheidet.
Jedoch könnten die geplanten „Verbesserungen der Arbeitsbedingungen“ gravierende, negative Auswirkungen auf digitale Freelancer haben.
Denn die EU-Kommission definiert den Begriff „Digitale Arbeitsplattform“ unscharf.
Die Gefahr liegt im Detail: Begriff „Digitale Arbeitsplattform“ unklar definiert
Die neuen Regeln sollen Teilnehmende des Arbeitsmarktes schützen. Klingt cool, oder?
Es gibt aber ein riesiges Problem:
Im Vorschlag der EU wird keine klare Abgrenzung zum Begriff „Digitale Arbeitsplattform“ vorgenommen.
Ohne klare Definition beeinflusst die potenzielle Richtlinie damit auch den Lifestyle von digitalen Nomaden die ihre Aufträge über Remote Work Plattformen beziehen.
Denn nicht nur problematische Anbieter wie Lieferando, Helpling und Co. gelten somit als „Digitale Arbeitsplattform“ – so gut wie jede Remote Work Plattform, jede Agentur und jeder Vermittler von Aufträgen für Selbstständige könnte von der neuen EU-Regelung betroffen sein.
Verband der Gründer und Selbstständigen warnt: Soloselbstständige geraten unter Generalverdacht
Der Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) warnt vor schwerwiegenden Konsequenzen. Denn wird der EU-Vorschlag angenommen, könnte die Richtlinie bereits 2023 inkraft treten und vor allem digitale Nomaden, Freelancer und Solopreneure hart treffen.
Digitale Nomaden, die ihre Dienstleistungen bisher als Solopreneure oder Freelancer über das Internet angeboten haben, könnten so von der deutschen Rentenversicherung als Beschäftigte eingestuft werden.
Gerade Grund 5 des EU-Vorschlags ist pikant:
„Plattformarbeit wird von Einzelpersonen über die digitale Infrastruktur digitaler Arbeitsplattformen, die ihren Kunden eine Dienstleistung anbieten, ausgeführt.“
Soweit so bürokratisch.
„Mithilfe von Algorithmen können die digitalen Arbeitsplattformen die Arbeitsleistung, die Vergütung und die Beziehung zwischen ihren Kunden und den Personen, die die Arbeit ausführen, mehr oder minder – je nach Geschäftsmodell – kontrollieren.“
Dieser Punkt ist bei Remote Work Plattformen fraglich.
Weiter heißt es aber:
„Plattformarbeit kann ausschließlich online über elektronische Tools (im Folgenden „Online-Plattformarbeit“) […] Bei vielen der bestehenden digitalen Arbeitsplattformen handelt es sich um internationale Wirtschaftsakteure, die ihre Tätigkeiten und Geschäftsmodelle in mehreren Mitgliedstaaten oder grenzüberschreitend betreiben.“
In dieser Begründung werden erneut alle Anbieter in der Plattformökonomie auf ein Level reduziert.
EU-Regelung stellt Upwork und Fiverr mit Lieferando oder Gorillaz auf eine Ebene
VGSD-Vorstand Andreas Lutz befürchtet:
„Aufgrund eines unklar abgegrenzten und viel zu breit gefassten Plattformbegriffs und einer fatalen Beweislastumkehr geraten Solo-Selbstständige unter größeren Generalverdacht der Scheinselbstständigkeit als je zuvor.“
Artikel 2 der Richtlinie untermauert diese Befürchtung:
Check in der Praxis: Sind digitale Nomaden nach dieser Regelung noch selbstständig?
Du möchtest sicher wissen, ob du von der EU-Regelung betroffen sein könntest. Der VGSD hat zum Thema ein paar Fragen veröffentlicht, die sich jeder digitale Nomade stellen sollte.
Diese Kriterien wurden aus Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie entnommen:
- Nutzt du zur Neukundenakquise Plattformen, Apps oder Agenturen?
- Kontrolliert diese „Digitale Plattform“ deine Arbeitsleistung?
- Bestimmt die „Digitale Plattform“ die Höhe deiner Vergütung?
- Gibt es bestimmte Regelungen, die du in Bezug auf dein Verhalten gegenüber potenziellen Auftraggebern einhalten musst?
- Sammelt die Plattform Feedback über deine Arbeitsleistungen?
- Schränkt die Plattform deine Freiheit zur Organisation der Arbeit ein? (z. B. Arbeitszeiten, Sanktionen, ...)
- Wirst du durch die Plattform daran gehindert, eigenständig einen Kundenstamm aufzubauen?
Falls 2 oder mehrere Kriterien zutreffen, würde die Deutsche Rentenversicherung (DRV) dich als scheinselbstständig einstufen. Ob und wie Kriterien zutreffen, entscheidet ein DRV-Prüfer.
Was bedeutet die geplante Regelung für digitale Nomaden mit Geschäftsmodellen in Deutschland?
Die geplante EU-Regelung erschwert die digitale Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern und digitalen Nomaden (Freelancer, Solopreneure, Soloselbstständige, ...).
Denn anstatt sich direkt mit dem Copywriter, Web Developer oder Designer über eine Zusammenarbeit auszutauschen, werden Auftraggeber im ersten Schritt mit einem Rechtsanwalt sprechen müssen.
Zu hoch ist die Gefahr, grundsätzlich als Arbeitgeber eingestuft zu werden.
Innovative Arbeit verlagert sich so ins EU-Ausland.
Ob das im Sinne der EU ist?
Wann könnte es zu dieser Regelung kommen?
Der Vorschlag hat auf EU-Ebene hat bereits einzelne Stationen durchlaufen. Im Jahr 2023 könnte die Richtlinie also bereits umgesetzt werden.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und sein spanischer Amtskollege begrüßen die neue Richtlinie und treiben den Vorschlag aktiv voran.
Bereits 2020 äußerte sich der Arbeitsminister im Spiegel zum Thema.
Bei seinen Ausführungen vergisst der Politiker, wie lukrativ die Plattformökonomie für alle beteiligten Parteien sein kann – und stellt dabei „sozialen Schutz“ über den freien Lebensentwurf von digitalen Nomaden.
Die Chronologie der neuen Regelung für Plattformarbeit
Welche Instanzen hat der Vorschlag bereits durchlaufen und wie geht es nun weiter?
Nachfolgend eine Chronologie der neuen Regelung für Plattformarbeit:
- EU-Kommission unterbreitet Vorschlag am 09.12.2021 in Brüssel und sendet in an den deutschen Bundesrat
- Vermehrter Einfluss von Verbänden, Gewerkschaften und Interessengruppen
- Ausschüsse des Bundesrats sprachen im März 2022 eine Empfehlung mit Änderungswünschen aus
- VGSD informiert Verantwortliche in Brüssel über Notwendigkeit einer klareren Abgrenzung des Plattformbegriffs und von Kriterien
- Mitte Mai 2022 erschienen diese Punkte auf der Tagesordnung des Koalitionssauschuss
- Änderungsanträge für das EU-Verfahren konnten bis 08. Juni 2022 eingebracht werden
- Parlamentarische Abstimmung ist für November 2022 angedacht
- Wann die neue Richtlinie wirksam wird, ist unklar – der VGSD rechnet mit Frühjahr 2023
- Anschließend haben die EU-Staaten 2 Jahre Zeit, die Regelungen in nationales Recht umzusetzen
Fazit: „Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“ gefährdet freien Lebensentwurf von digitalen Nomaden
Der EU-Vorschlag vom 09.12.2021 ist gut gemeint, wurde aber lückenhaft und schlecht recherchiert. Es entsteht der Eindruck, als rauschen Megatrends wie New Work oder Individualisierung an den Verantwortlichen der EU-Kommission völlig vorbei.
Der neue Vorschlag mag soloselbstständige Fahrradkuriere schützen – gefährdet aber den freien Lebensentwurf von digitalen Nomaden.
Eine klare Abgrenzung zu bestehenden, lukrativen digitalen Geschäftsmodellen liegt nicht vor.
Digitale Nomaden, die als Freelancer oder Solopreneure ihr Wissen in Form von Dienstleistungen über Remote Work Plattformen verkaufen, werden so unter den Generalverdacht der Scheinselbstständigkeit gestellt.
Statt Menschen vor Ausbeutung zu schützen, gefährdet die EU den freien Lebensentwurf von digitalen Nomaden.
Weitere Quellen zur Eigenrecherche:
- EU Vorschlag im Detail
- VGSD Bericht als Quelle für diesen Beitrag
- VGSD über die Details zum EU-Vorschlag
- Spiegel-Bericht aus 2020
- Definition von Scheinselbstständigkeit vom DRV
Heyo, ich bin Jannik👋
Im Solopreneur.Studio zeige ich dir den Weg zum digitalen Full Remote Business.
Schreib mir gerne eine Mail an
oder bei LinkedIn (@jannik-voss)